24.06.2022: Dorothee von Laer: "Da darf man sich als Wissenschaftler*in nicht aufs Glatteis führen lassen."

In bereits fünf Tagen werden Therese Niss, Markus Gerschberger, Sabine Herlitschka, Dorothee von Laer und Florian Frauscher beim CDG-Zukunftstalk über das Thema "Covid-19 Lessons Learned: Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in und nach der Pandemie" diskutieren: Nachdem erstere drei Diskutant*innen bereits in Interview-Form vorgestellt wurden (und bevor der letztgenannte am Montag die Artikelserie abschließt) ist heute Dorothee von Laer an der Reihe!

CDG-Zukunftstalk zu den Lehren aus der Pandemie – Anmeldung hier!

CDG: Was war Ihr prägendstes Erlebnis in der Pandemiesituation?
von Laer: Als mein Team tatsächlich als erstes weltweit gezeigt hat, dass Omicron ein neuer Serotyp ist und dass umgeimpfte Omicron-infizierte Personen praktisch keine Antikörper gegen die früheren Virusvarianten bilden und umgekehrt. Das wurde dann auch in der Topzeitschrift der Medizin, dem New England Journal of Medicine, publiziert. Das hat mich vor allem für die jungen Teammitglieder sehr gefreut. Solche Publikationen sind für deren Laufbahn enorm wichtig.

CDG: Welcher Zeitpunkt der Pandemie ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben und warum?
von Laer: Die Woche am Gipfel der Deltawelle, als klar war, dass die Intensivstationen an ihre Grenzen geraten, und der Landeshauptmann in Salzburg nur meinte, die Virologen wollten alle Menschen einsperren und es noch über eine Woche gebraucht hat, bis die Maßnahmen verhängt wurde. In Österreich halten wir in Europa den traurigen Rekord der höchsten Inzidenzen in der Deltawelle.

CDG: Gab es im Zuge der Pandemie berufliche Entscheidungssituationen, in denen Sie sich mit heutigem Wissen anders verhalten hätten als Sie es damals taten?
von Laer: Die Impfstudie, bei der wir – ohne Unterstützung der Universitätsklinik in Innsbruck – die heterologe Impfung mit AstraZeneca als erster und Pfizer als zweiter Impfdosis mit der homologen (d.h. den Impfstoff nicht wechselnden) Pfizer- bzw. AstraZeneca-Impfung verglichen haben, würde ich nicht nochmal machen. Das war extrem aufwendig für uns als Virologie ohne die Unterstützung von klinisch tätigen Ärzt*innen, und die Genehmigungen haben sich so in die Länge gezogen, dass wir mit den Ergebnissen nicht die Ersten waren. Diese ließen sich daher zwar gut publizieren, aber nicht mehr in einem Topjournal. Also der Aufwand hat den Nutzen nicht gerechtfertigt.

CDG: Welche Lehren sollte Ihrer Meinung nach die Wissenschaft in der Politikberatung aus der Pandemie ziehen und wie wird sich Ihre eigene Tätigkeit in Zukunft ändern?
von Laer: Die Wissenschaftler*innen sollten sich mit Handlungsvorschlägen zurückhalten und eher aufzeigen, welche Optionen es gibt und was jeweils damit zu erreichen ist. Wenn die Politik keine klaren Ziele formuliert und Vorgaben macht – Wie viele Coronatote toleriert man z.B.? Soll nur eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden oder wollen wir vulnerable Gruppen, die keinen ausreichenden Immunschutz bilden können, auch schützen? Wenn ja, unter welchen Einschränkungen für den Rest der Bevölkerung? usw. – dann können wir Wissenschaftler*innen und Expert*innen auch keine Vorschläge für Maßnahmen machen. Da darf man sich als Wissenschaftler*in nicht aufs Glatteis führen lassen.

Prof. Dr. Dorothee von Laer, MD ist Professorin für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck und im Senat der Christian Doppler Forschungsgesellschaft vertreten.

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