2022: Materialforschung in JR-Zentren

Der CDG-Preis 2022 geht an Sandra Stroj und Günter Mayr

Anwendungsmöglichkeiten von Krebsbehandlung bis zur Luftfahrt

Jedes dritte Jahr wird der CDG-Preis für Forschung und Innovation für Josef Ressel Zentren ausgeschrieben, um deren Erfolge in der Forschung ebenso zu würdigen wie ihren Beitrag zur Stärkung der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Österreichs. 2022 trifft die Preisverleihung mit einem Jubiläum zusammen: Am 01.10.2012 startete das erste von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft geförderte Josef Ressel Zentrum.

Mit Sandra Stroj von der FH Vorarlberg und Günther Mayr von der FH Oberösterreich geht der CDG-Preis 2022 an zwei Materialforscher*innen mit höchst unterschiedlicher Ausrichtung: Im einen JR-Zentrum geht es um neue Anwendungsbereiche für Ultrakurzpulslaser, im anderen um die zerstörungsfreie Prüfung von Leichtbauteilen – beides mit signifikanter Bedeutung für die jeweiligen Unternehmenspartner.

„Beide JR-Zentren zeigen, dass Forschungsarbeiten, die von der Fragestellung eines Unternehmens ausgehen, hohe gesellschaftliche Relevanz haben: Effizienzsteigerungen bei der zerstörungsfreien Prüfung von industriellen Produkten erhöhen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmenspartner, sondern sind durch die damit verbundene Ressourcenschonung auch ein Teil der Lösung für unsere Herausforderungen im Umweltbereich. Die wissenschaftlich fundierte Suche nach neuen Anwendungsgebieten für Ultrakurzpulslaser führt zu neuen Ansätzen für die Krebsbehandlung, zu neuen Möglichkeiten der Gewinnung von Trinkwasser aus Nebel mittels funktionaler Oberflächen und erschließt gleichzeitig auch neue Kundenkreise für den Unternehmenspartner.“

Martin Gerzabek, Präsident der Christian Doppler Forschungsgesellschaft

 

 

"Gratulation an Sandra Stroj und Günther Mayr! Gemeinsam mit ihren Unternehmenspartnern zeigen sie, wie erfolgreich Forschung an Fachhochschulen ist, und wie vielfältig die Anwendungsmöglichkeiten sind. Neues Wissen stärkt den Innovationsstandort Österreich und ist ein Wettbewerbsvorteil im internationalen Vergleich. Die Erfolge der Josef Ressel Zentren zeigen, dass Fachhochschulen die Möglichkeit zum langfristigen Aufbau von Expertise in Interaktion mit Unternehmen hervorragend nutzen“

Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft

 

Sandra Stroj: Trinkwassergewinnung und Quantenoptik

Ultrakurz gepulste Laser arbeiten mit Laserimpulsen im Femto- und Pikosekunden-Bereich (10-15 bis 10-12 Sekunden). Gegenüber herkömmlichen Lasern haben sie den Vorteil, dass das bearbeitete Material nicht warm wird. Es können auch spröde und besonders harte Materialien bearbeitet und Materialien mit hoher Präzision bis in den Nanometerbereich strukturiert werden.

Diese Hightech-Laser wurden ursprünglich für die wissenschaftliche Forschung entwickelt, die Anwendungen im industriellen Bereich werden aber immer vielfältiger. Genau hier setzt Sandra Stroj mit dem JR-Zentrum für Materialbearbeitung mit ultrakurz gepulsten Laserquellen an: Sie erforscht, was mit diesen Lasern alles machbar ist. Dazu braucht es nicht nur genaues Wissen über die Funktionsweise der Laserquelle, sondern auch zu den Eigenschaften des untersuchten Materials.

Der Unternehmenspartner High Q Laser GmbH (ein Teil von MKS Instruments, Inc.), ein führender Hersteller für Ultrakurzpulslaser, profitiert durch die Erschließung neuer Anwendungsbereiche seines Produktes und durch die Stärkung der fachlichen Kompetenz bei der Kundenberatung und -betreuung.

Beispiel: Funktionale Oberflächen nach dem Vorbild eines Wüstenkäfers

Der Wüstenkäfer (Stenocara gracilipes) gewinnt Wasser aus dem Morgennebel, indem er seine Flügel in den Nebel hält. Auf diesen Flügeln finden sich eng nebeneinander winzige, wasseranziehende Hügel und wasserabweisende Täler. Dadurch entstehen kleine Wasserkugeln, die zum Mund des Käfers rollen, der damit deutlich mehr Wasser aus dem Nebel gewinnt, als dies mit glatten Oberflächen möglich wäre.

Dem Team um Preisträgerin Sandra Stroj ist es gelungen, dieses Prinzip mit einer Kombination aus Beschichtungsprozess und Bearbeitung mit ultrakurz gepulsten Lasern nachzubauen. Das Ergebnis ist ein Herstellungsprozess für Funktionale Oberflächen, auf denen beliebige Benetzungszustände erzeugt und kombiniert werden können. Der Prozess wurde wissenschaftlich publiziert und vom Unternehmenspartner patentiert. Die Vermarktung erfolgt als ClearSurfaceTM durch den Unternehmenspartner. Anwendungsmöglichkeiten reichen von der Bekämpfung von Kondenswasser bei industriellen Maschinen bis hin zur einer Trinkwassergewinnung in meernahen Trockengebieten, die weder eine Energieversorgung noch komplexe Anlagen benötigt.

Beispiel: Tumorzerstörung durch Laserlicht

Bei dieser Methode wird Licht über Glasfasern direkt in Tumorgewebe eingebracht, das zuvor mit photoaktiven Stoffen angereichert wurde. Dadurch wird das Licht lokal stark absorbiert, was idealerweise zu einer selektiven Zerstörung des Tumors führt.

Wesentlich ist dabei, dass das Licht am Ende der Glasfasern präzise an die richtige Stelle kommt. Ein Fall für die ultrakurz gepulsten Laser: Mit diesen ist es möglich, nur das Innere der mikrometerdünnen Glasfasern so zu bearbeiten, dass dort Streuzentren entstehen, die das Licht definiert ausstreuen. Ein wesentlicher Fortschritt in der Krebsbehandlung.

Beispiel: Aktuatoren aus Piezomaterial für die Quantenoptik

Piezo-Einkristalle sind dünne, extrem poröse und temperaturempfindliche Materialien, die sich ausdehnen und zusammenziehen, wenn man elektrische Spannung anlegt. Für wissenschaftliche Untersuchungen in der Quantenoptik muss dieses Material in komplexe Strukturen gebracht werden – eine Aufgabe für ultrakurz gepulste Laser und die Arbeitsgruppe von Dr. Stroj. Die so hergestellten Piezoaktuatoren sind eine weltweite Neuheit und werden erfolgreich im Bereich der Quantenoptik eingesetzt, einem Themengebiet mit hoher wissenschaftlicher Relevanz.

Erfolge für den Unternehmenspartner

„Dank der engen und überaus erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen der FH Vorarlberg sowie unserem Unternehmen innerhalb des Josef-Ressel Zentrums konnten wichtige Fragestellungen im Bereich der Mikrostrukturierung mit ultrakurz-gepulsten Lasersystemen wissenschaftlich untersucht sowie neue Anwendungsfelder im industriellen Bereich eröffnet werden. Hier sei im Speziellen die Funktionalisierung von Oberflächen erwähnt: dank der hervorragenden Arbeit des Teams um Frau Dr. Sandra Stroj konnten z.B. hydrophobe (=wasserabweisende) und hydrophile (=wasserliebende) Oberflächenstrukturen erzeugt werden, welche unter anderem in naher Zukunft Flugzeugflügel vor einer Vereisung schützen könnten; somit könnte größtenteils auf die Verwendung der gesundheitsschädlichen Flugzeug-Enteisungsmittel im Winter verzichtet werden. Ein anderes, sehr interessantes Anwendungsgebiet betrifft die gezielte Lenkung von Flüssigkeiten (wie z.B. das menschliche Blut) in sogenannten mikro-fluidischen Systemen (auch Lab-on-a-Chip Bauteile genannt), wodurch z.B. geringste Mengen einer Flüssigkeit automatisch analysiert werden könnten.

Die mehrjährige Zusammenarbeit mit Frau Dr. Stroj und ihrem Team hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig und wertvoll der enge Austausch zwischen Akademia und Industrie ist und wie schnell neue Erkenntnisse gewonnen werden können -  welche sowohl wissenschaftlich wertvoll als auch industriell interessant sind - wenn Experten/Innen aus Wissenschaft und Industrie zusammenarbeiten.“

Dr. Jürg Aus der Au, Senior Director of Engineering, High Q Laser GmbH/MKS Instruments, Inc.

 

 

„Das JR-Zentrum hat uns ermöglicht, konzentriert an neuen Anwendungsgebieten zu forschen. Da sich laufend neue Möglichkeiten ergeben, hat sich die Flexibilität des Fördermodells als sehr wichtig herausgestellt. Beispielsweise hatten wir die funktionalen Oberflächen nach Vorbild des Wüstenkäfers gar nicht im Forschungsantrag erwähnt. Die ersten Forschungsergebnisse waren jedoch so vielversprechend, dass wir sie als Schwerpunkt übernommen haben und sie schließlich zu einem der wichtigsten Erfolge des JR-Zentrums wurden.“

Preisträgerin Sandra Stroj

 

 

 

 

Günter Mayr: Bauteile schneller und kostengünstiger prüfen

Ob nun Lufteinschlüsse oder schlechte Verklebungen – die Prüfung von kritischen Leichtbauteilen, z.B. für die Luft- und Raumfahrt ist von großer wirtschaftlicher Bedeutung für Unternehmen. Die Forschung daran ist äußerst relevant für den Standort, schnellere und genauere Prüfmethoden steigern die Produktqualität und verringern den Ausschuss. Der Bedarf an teuren Reparaturen sinkt, die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen steigt.

Das Team des Preisträgers Günther Mayr an der FH Oberösterreich setzt dafür auf die Weiterentwicklung von Thermografischen Prüfverfahren: Dabei wird das Bauteil mit Licht (oft Halogenstrahler) bestrahlt, das Bauteil absorbiert das Licht und die Oberfläche erwärmt sich. Dadurch ist die Temperatur außen höher als innen, aufgrund des Temperaturgefälles fließt die Wärme gleichmäßig nach innen – wenn das Bauteil fehlerfrei ist. Wenn im Bauteil ein Defekt ist (Luftblase, Verklebung, …) entsteht ein Wärmestau, der sich an der Oberfläche als messbarerer Hotspot bemerkbar macht. Es wird also immer nur berührungslos an der Oberfläche gemessen, daher ist die Methode gänzlich zerstörungsfrei.

It’s magic!

Die Ergebnisse der Temperaturmessungen werden nun mathematisch so umgerechnet, als wären sie ein Ultraschallfeld – und damit öffnet sich eine Tür zu einer Vielzahl von Methoden und Verfahren zur Materialprüfung. Diese erstaunliche Methode wurde in Oberösterreich entwickelt (Fachhochschule OÖ, RECENDT Linz) und wird zB von FACC bereits zur Prüfung einfacher dünner Bauteile angewendet, da sie um ein Vielfaches schneller und effizienter ist als andere Methoden.

Die Mathematik: ein schlecht gestelltes inverses Problem

Das JR-Zentrum befasste sich nun mit der Verbesserung der Lösung, damit sie auch für dickere Materialien, hybride Verbundwerkstoffe oder komplex geformte Bauteile angewandt werden kann. Das Problem dabei ist ein bekanntes mathematisches und heißt „Fredholm-Integral der ersten Art“. Konkret geht es darum, dass die Kontraste immer „verschwommener“ werden, während die Wärme sich im Bauteil ausbreitet – es geht also über die Zeit Information verloren. Das Rückrechnen „Wo genau war der Defekt“ wird schwierig.

Das JR-Zentrum setzt zur Lösung auf eine Kombination von Künstlicher Intelligenz und einem iterativen, durch Experimente gestützten Prozess: Zusätzliche Informationen zur Ausbreitung der Wärme, z.B, dass ein Fehler immer nur lokal begrenzt ist, werden mathematisch verpackt und tragen in Summe zu einer deutlich verbesserten Ortsauflösung bei. Insbesondere können auf diese Weise Lage und Größe des Defekts wesentlich genauer bestimmt werden.

Das JR-Zentrum mit seiner interdisziplinären Kooperation zwischen Materialforschung/prüfung, Signalverarbeitung und Mathematik bietet für diese Forschung ein ideales Umfeld. Die Ergebnisse werden bei den Unternehmenspartnern zur Entwicklung besserer, schnellerer und effizienterer Prüfverfahren genutzt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen profitiert davon ebenso wie der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Oberösterreich.

Das Start Up

Ein greifbarer Erfolg des JR-Zentrums ist auch das neu gegründete Start Up voidsy, das unter Federführung von zwei frisch promovierten Mitarbeitern des JR-Zentrums im September 2022 gegründet wurde. Ziel des in unmittelbarer Nähe der FH angesiedelten Unternehmens ist die Entwicklung eines smarten Sensorkopfes für thermografische Prüfungen, der den bisher nötigen komplexen Versuchsaufbau für die Prüfungen ersetzen soll.

Erfolge für die Unternehmenspartner

„Mithilfe der Digitalisierung werden zukünftig Fertigungsanlagen immer mehr zur Optimierung der Bau-teilqualität beitragen. Dazu brauchen wir Informationen zu den Produktmerkmalen. Ziel ist, dass die Un-tersuchung aller Teile vollautomatisch und in der Zykluszeit der Anlage gelingt. Mit den herausragenden Forschungsergebnissen, die das Josef Ressel Zentrum für thermografische zerstörungsfreie Prüfung von Verbundwerkstoffen erzielt hat, sind wir hier einen ganz wesentlichen Schritt weitergekommen.“

Dr. Norbert Müller, Bereichsleiter Globale Anwendungstechnik, ENGEL AUSTRIA GmbH

„Durch die Zusammenarbeit mit Dr. Mayr und insbesondere durch das JR-Zentrum wurde FACC zum ersten Luftfahrtzulieferer für BOEING und AIRBUS, der die Infrarot-Thermografie als primäre Inspektionsmethode in der Produktion einsetzt; eine Leistung, die von vielen großen Unternehmen in der Branche noch immer nicht erreicht wird und auf die wir sehr stolz sind. Danke an Dr. Mayr und sein Team!

Wir setzen diese hocheffiziente Technik aktiv in unserer Produktion für mehrere Teile ein. Sie bietet mehrere entscheidende Vorteile in Bezug auf die Zeit für die Inspektion (bis zu 20-mal schneller), die Kosten für die Anschaffung (ca. 80 % weniger) und die Wartung (ca. 10 % billiger), außerdem erhöht sie die Sicherheit sowie die Ressourcen- und Energieeffizienz. Unsere Position auf den europäischen und internationalen Märkten wurde dadurch deutlich gestärkt.“

Ing. Helmuth Höller, Leiter Quality, FACC Operations GmbH

„Wir sind Hersteller einer industrialisierten thermografische Messzelle für die zerstörungsfreie Prüfung von Bauteilen die im industriellen Umfeld für z. Bsp. Spritzteile / Faserverbundwerkstoffe usw., sowie auch zur Elektronik-Prüfung im Einsatz ist.

Die Kooperation mit dem Josef Ressel Zentrum (JRZ) unter der Leitung von Dr. Mayr ermöglicht es Ottronic industrialisierte Kundenlösungen sowie die hauseigenen Qualitätssicherungsprozesse am aktuellen Stand der Technik zu halten, stetig zu verbessern und den Marktanforderungen anzupassen. Unter Einbeziehung der am JRZ erarbeiteten Methoden und Algorithmen ist es uns möglich das Einsatzfeld zu erweitern, die Aussagefähigkeit des Prüfergebnisses stetig zu verbessern, um so versteckte Bauteilfehler wie beispielsweise Lunker oder Einschlüsse praktisch im Maschinentakt sichtbar zu machen und damit Produktionsprozesse effizienter auf deren Qualität hin zu optimieren.“

Ing. Josef Ott, Geschäftsführerer Ottronic Regeltechnik Gesellschaft m.b.H

„Das Josef Ressel Zentrum gab meinen Dissertanten und mir die Möglichkeit, aufgrund der langfristigen Finanzierung die Aktive Thermographie deutlich über den Stand der Technik hinaus zu entwickeln. Speziell das Virtuelle Wellenkonzept hat sich als ein sehr schlagkräftiges Rekonstruktionsverfahren für Temperaturdaten herausgestellt. Es führte zur Entwicklung der ersten thermographischen Tomographie. Durch die enge Zusammenarbeit mit unseren Unternehmenspartnern konnten diese innovativen Qualitätssicherungsverfahren bestens auf die industriellen Anforderungen abgestimmt werden.“

Preisträger Günther Mayr

 

 

 

 

Christian Doppler Forschungsgesellschaft

Boltzmanngasse 20/1/3 | 1090 Wien | Tel: +43 1 5042205 | Fax: +43 1 5042205-20 | office@cdg.ac.at

© 2020 Christian Doppler Forschungsgesellschaft